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Lebendige Traditionen: Eine Reise zu den großen Festen Sardiniens

Wer Sardinien nur mit Sommer, Sonne und Meer verbindet, dem geht tatsächlich viel verloren. Denn abseits der Strände  offenbart sich eine tief verwurzelte Kultur, die sich besonders eindrucksvoll in ihren Festen zeigt. Wenn die Trommeln zu schlagen beginnen, Reiter in bunten Trachten durch enge Gassen galoppieren oder barfüßige Pilger durch die Landschaft rennen, dann wird sichtbar, was es heißt, sardische Traditionen hautnah zu erleben.

Feste wie Sa Sartiglia in Oristano – ein mittelalterliches Reiterspektakel mit maskierten Helden – oder die bewegende Prozession zu Ehren des Sant’Efisio in Cagliari, bei der Tausende in historischen Trachten ihren Schutzheiligen feiern, sind mehr als nur farbenfrohe Veranstaltungen. Sie sind Ausdruck einer tiefen spirituellen Verbindung, historischer Erinnerung und kollektiver Identität. Auch das asketische Ritual der Corsa degli Scalzi in Cabras, bei dem barfüßige Männer den Heiligen Salvatore durch die Landschaft tragen, und viele weitere Festlichkeiten zeigen: In Sardinien lebt die Geschichte weiter, laut, stolz und voller Emotion.

Es sind keine bloßen Termine im Kalender, sondern Momente, in denen Sardinien seinen ganzen kulturellen Reichtum offenbart und auch gelebter Alltag, der die Sarden über Generationen hinweg verbindet. Wer an ihnen teilnimmt, taucht ein in eine Welt, in der Glaube, Stolz und Gemeinschaft zu einem großen Ganzen verschmelzen.

Wir möchten Ihnen 10 großartige Feste vorstellen und beginnen mit dem größten in der Inselmetropole Cagliari im Süden. Im Uhrzeigersinn folgen die anderen entlang der Westküste und im Norden.

Fest des Heiligen Efisio in Cagliari

Jedes Jahr vom 1. bis 4. Mai feiert Cagliari das Fest des Heiligen Efisio (Sant Efisio), das größte religiöse und kulturelle Ereignis der Insel. Es entstand aus einem feierlichen Gelübde während der Pest von 1652, mit dem sich die Bevölkerung verpflichtete, die Statue des Heiligen jährlich in einer Prozession vom Stadtteil Stampace zum Strand von Nora in Pula zu tragen. Das Fest des Heiligen Efisio zieht ganz Sardinien mit ritterlichen Traditionen, traditioneller Kleidung und geschmückten, von Ochsen gezogenen Karren in seinen Bann. Einer der wichtigsten Momente ist der erste Tag, an dem die Prozession mit dem Heiligen Efisio beginnt, der durch die mit einem Blütenteppich geschmückten Straßen Cagliaris zieht, gefolgt von Gläubigen in traditioneller Kleidung, Rittern, Tracas, religiösen Bruderschaften und berittenen Milizionären.

sant efisio a cagliari

Fest des Heiligen Antioco Martire in Sant’Antioco

Während des Festes des Sant’Antioco Martire erwacht die gesamte Stadt Sant’Antioco im Südwesten Sardiniens mit einer Reihe von Veranstaltungen zu Ehren des Schutzpatrons Sardiniens zum Leben. Die Ursprünge dieses Festes reichen bis ins Jahr 1360 zurück und beziehen die Gemeinde in religiöse Rituale, Prozessionen und Momente tiefer Hingabe ein. Das Fest findet an drei Tagen statt: 15 Tage nach Ostern, am 1. August und 13. November. Einer der aufregendsten Momente ist die Prozession, bei der die Figur des Heiligen durch die Straßen der Stadt zieht und die Gläubigen aktiv in eine gemeinsame Geste der Hingabe einbezieht.

festa a sant antioco

Sa Sartiglia in Oristano

Sa Sartiglia ist das Karnevalsfest von Oristano an der Westküste Sardiniens. Die rituelle Einkleidung des Su Componidori, dem Ritter, markiert den Beginn der Sartiglia. Die Zeremonie verwandelt den Su Componidori in einen Halbgott, sorgfältig eingekleidet von La Massaia Manna e le Massaieddas. Nach der Segnung durch Sa Pippia de Maiu beginnt die spektakuläre Corsa alla Stella, also das Rennen um den Stern. Die Reiter fordern sich in einem rasanten Galopprennen heraus, um den Stern einzufangen, der in der Hauptstraße der Altstadt von Oristano hoch aufgehängt ist. Das Fest endet mit der Entkleidung des Su Componidori, der nach dem Ablegen von Kostüm und Maske wieder zum Ritter wird. Die Sartiglia ist neben den Umzügen des Karnevals der Barbagia ein wichtiges Ereignis im sardischen Karneval.

sa sartiglia in oristano

La Corsa degli Scalzi zwischen Cabras und San Salvatore di Sinis

In Cabras an der Westküste und im kleinen Ort San Salvatore di Sinis findet jedes erste Septemberwochenende das Fest zu Ehren des Heiligen San Salvatore statt. Die Tradition der Corsa degli Scalzi (zu dt. Rennen der Barfüßigen) geht auf das Jahr 1619 zurück, als barfüßige Männer die Statue des Heiligen schnell durch das Gelände trugen, um sie vor einem maurischen Überfall zu retten. Dieses „Herumrennen“ ließ die Mauren glauben, sie stünden einer großen Streitmacht gegenüber und flohen. Dieser Akt der List führte zur Rettung des Heiligen und des Dorfes.

Am Samstag holen Hunderte von weiß gekleideten Männern, die Is Curridoris genannt werden, die Statue des San salvatore aus der Kirche Santa Maria Assunta in Cabras ab und tragen sie barfuß und rennend auf einem 7 km langen Feldweg zum Ort San Salvatore. Am Sonntag bringen die Is Curridoris dann den heiligen San Salvatore zurück nach Cabras. An diesen Tagen erwachen beide Orte zum Leben mit Musik, Gesang und Ständen, die lokale Speisen und Weine anbieten.

Festa di San Costantino Ardia di Sedilo

S’Ardia ist ein Pferderennen aus dem Jahr 1806, das im Juli in Sedilo bei Oristano zu Ehren von San Costantino, bekannt als Santu Antine, stattfindet. Die Reiter, die sogenannten Pandelas, messen sich in einer gefährlichen Abfahrt unter der Führung eines Rennleiters, der aus einer geheimen Liste des Pfarrers ausgewählt wird. Der steile Weg führt durch das Heiligtum Sa Murredda, wobei auch Eskorten und eine Armee von Reitern anwesend sind. Das Fest mit mystisch-religiösen Wurzeln erfordert monatelange Vorbereitungen und zieht Touristen aus aller Welt an. Neben seiner religiösen Dimension bietet S’Ardia ein emotionales Spektakel mit Staub, Pferden und begeisterter Beteiligung und ist damit eines der eindrucksvollsten Feste Sardiniens.

Reiterfest Cavalcata Sarda in Sassari

Die Cavalcata Sarda findet in Sassari im Nordwesten Sardiniens statt und kann als eine Explosion von Klängen, Farben, Tänzen, Schmuck und Kostümen beschrieben werden. Die Cavalcata Sarda (zu dt. Sardischer Ritt) ist keine religiöse Feier, sondern ein weltliches Fest zur Feier der sardischen Kultur und Volkskunst. Sie wurde erstmals 1899 zu Ehren des damaligen italienischen Königs Umberto I. organisiert und und in den 1950er Jahren wiederentdeckt. Seitdem hat es sich seitdem zu einer festen Institution Sardiniens entwickelt.

Zahlreiche Männer, Frauen und Kinder aus ganz Sardinien nehmen in ihren regionaltypischen Trachten teil, alle fein bestickt, farbenprächtig, oft handgefertigt und voller lokaler Symbolik. Ein Höhepunkt ist der Umzug berittener Gruppen: Reiter in historischen Gewändern führen kunstvolle Formationen vor und zeigen traditionelle Reitkunst. Besonders beeindruckend sind die akrobatischen Darbietungen, bei denen junge Männer im Galopp auf den Rücken der Pferde springen oder in Gruppenformationen reiten.

Discesa dei Candelieri in Sassari

Der „Abstieg der Kerzen“ (it. Discesa dei Candelieri) ist ein faszinierendes, jahrhundertealtes Fest in Sassari im Nordwesten Sardiniens, das jedes Jahr am 14. August, dem Vorabend des Festes Mariä Himmelfahrt (Ferragosto), gefeiert wird. Die Faradda di Li Candareri, wie sie in Sassari genannt wird, ist eines der wichtigsten und symbolträchtigsten Volksfeste Sardiniens und wurde von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt.

Bei den „Kerzen“ handelt es sich nicht um gewöhnliche Kerzen, sondern um 13 bis zu 300 kg schwere, mehrere Meter hohe, kunstvoll verzierte und bemalte Holzsäulen. Sie stellen symbolisch Votivkerzen dar, die von den verschiedenen Zunftmitgliedern, wie zum Beispiel Schmiede, Bäcker, Tischler und Bauern, auf den Schultern in einer feierlichen Prozession (eine Art Abstieg) durch die Straßen der Altstadt bis zur Kirche Santa Maria di Betlem getragen und dort als Zeichen der Dankbarkeit der Stadt gegenüber der Jungfrau Maria niedergelegt werden.

Der Ursprung des Festes geht auf das 13. Jahrhundert zurück, als Sassari von der Pest bedroht war. Die Stadt versprach der Jungfrau Maria, jedes Jahr eine Prozession zu ihren Ehren abzuhalten, falls sie von der Seuche verschont bliebe. Die Bitte wurde erhört und seitdem wird das Versprechen jedes Jahr erneuert.

Fest des Heiligen Simplicio in Olbia

San Simplicio, der Schutzpatron von Olbia, war der erste überlieferte Bischof der Insel und erlitt 304 n. Chr. während der Christenverfolgungen unter Kaiser Diokletian das Martyrium. Die Feierlichkeiten zu seinen Ehren, auch bekannt als Sa Festa Manna de Mesu Maju, finden jährlich vom 10. bis 15. Mai statt. Die Feier beginnt mit einem traditionellen Feuerwerk über dem Meer und einer Prozession, bei der die Statue des Heiligen durch die Straßen der Stadt getragen wird. Die Teilnehmer, oft in traditionellen sardischen Trachten gekleidet, begleiten den Zug mit Gesängen und Gebeten. Ein Höhepunkt der Feierlichkeiten ist der „Palio della Stella“, ein historisches Rennen, das die Verbundenheit der Gemeinde mit ihrer Geschichte und Kultur symbolisiert. Neben den religiösen Zeremonien gibt es auch zahlreiche kulturelle Veranstaltungen, darunter Konzerte, folkloristische Tänze und kulinarische Spezialitäten wie die „Sagra delle Cozze“, ein Fest zu Ehren der lokalen Muscheln.

Fest des Erlösers in Nuoro

Das Fest des Erlösers (it. festa del Redentore) in Nuoro im Nordosten Sardiniens, das 1901 ins Leben gerufen wurde, ist ein Symbol der Insel, das Tradition und Folklore vereint. Die Wallfahrt beginnt am 29. August an der Kathedrale von Nuoro und endet auf dem Gipfel des Monte Ortobene. Das Fest ist eine perfekte Mischung aus Tradition und Folklore. Zwei Tage zuvor findet ein regionales Folklorefestival statt, an dem Tausende von Teilnehmern in traditionellen Kostümen, Rittern und Karnevalsmasken teilnehmen und eine unglaubliche Darstellung sardischer Traditionen in einem Ereignis darstellen, das Eleganz, Schmuck, Musik und Farben vereint.

Fest des Heiligen Franziskus von Lula

Das Fest des Heiligen Franziskus von Lula ist ein einzigartiges Fest, das am 4. Oktober und 1. Mai gefeiert wird Lula ist ein kleines, traditionsreiches Dorf nordöstlich von Nuoro, eingebettet in die hügelige Landschaft der Barbagia, einer der ursprünglichsten und kulturell tief verwurzelten Regionen der Insel. Es liegt am Fuße des eindrucksvollen Bergmassivs Monte Albo, das mit seiner weißen Kalksteinlandschaft und unberührten Natur ein beliebtes Ziel für Wanderer und Naturliebhaber ist.

Bei diesem Ereignis pilgern Tausende Gläubige zu Fuß zur außerhalb des Ortes liegenden Wallfahrtskirche San Francesco mit einer Statue des gleichnamigen Heiligen. Sie ist mit einer Legende verbunden, die von der Gründung der Kirche durch einen Banditen als Zeichen der Dankbarkeit für den Beweis seiner Unschuld erzählt. Diese Wallfahrt gilt als eine der ältesten und bedeutendsten religiösen Traditionen Sardiniens. Viele Pilger tragen die traditionelle Kleidung der Region und nehmen barfuß oder in Bußkleidung teil, ein Akt tiefer Frömmigkeit und Demut. Während der Novene werden den Gläubigen typische Gerichte wie Su Filindeu und Su Zurrette angeboten. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten ist die Prozession des Simulacrum nach Nuoro und ein geselliges Mittagessen auf dem Land.